Aufreger

Nach dem Mittagessen am Sonntag kann ich nicht im Wald spazieren gehen.

Alle sind dort, es ist wie in der Migros,

auch dort sind alle, auf einem Spaziergangshoppen

achten auf das Verfallsdatum, aber nicht die Herkunft des Gekauften

und wieder sind es alle die in die Herbstferien fliegen für ein Wochenende nach Thai-, Neusee-, Neufund-, Neueng-, Griechen- oder Russland,

Hauptsache Land, Land, Land, und neu, neu, neu,

und schon wieder sind es alle die nach zwei Jahren ein neues Auto kaufen,

und immer noch sind es alle, die die neuesten Bücher kaufen,

obwohl die Neuen von letzter Woche noch ungelesen auf dem Nachttisch liegen,

und wie alle ein Leben aus zweiter Hand führen,

und wie alle sich beraten lassen, arbeiten lassen, kaum sein lassen, beim Kauf, fürs Leben, bei akuten Problemen, für schicke Reisen,

und wie alle sich über hohe Steuern aufregen,

über die wachsende Zahl Ausländer,

über den Lärm, den Flugverkehr, die überfüllten Züge,

aufregen über die Warteschlangen bei McDonald und der Bank,

die abzockenden Manager, das unfreundliche Personal,

aufregen über sich selbst und die verwöhnte und undankbare Jugend,

die steigenden Kaffeepreise, den bitteren zu süssen Geschmack,

die zu niedrigen Zinsen, über nicht erreichbare Politiker, Handwerker, Experten, Spezialisten

über lärmende Töfflibueben, den Stau auf der A1 mit polnisch, italienisch, rumänisch, tschechisch schweizerischen  Lastwagen,

sich aufregen über verärgerte und aggressive, über zu freundliche und strahlend herzliche Gesichter,

überhöhte Preise für Fotokopien, über tiefe Preise

nicht funktionierende Computer, verspätete Busse und Bahnen, Samstagnachmittagsrasenmähern,

steigende Post- und Gemeindegebühren, schmutzige Abfallsackgebühren,

scharfkantige Papierstapel, zu bunte Postwurfsendungen

aufregen, aufregen, aufregen,

die aufgeregt einschätzen, einordnen, einteilen

über ein lebenswertes Leben, über abendliche Anrufe von Statistikbüros und Computerkursfirmen,

stündlichem medialen Infotainment mit der genauen Zahl der Kriegstoten,

über das zu nah' dran,

sich aufregen

über zu witzige Schlusspointen der glatten, geschnauzten, gestylten, gefärbten ModeratorInnen

wie alle sich aufregen über Schönheitswettbewerben aus den Armenhäusern der Welt,

spätabendliches Farbfernsehserienblabla,

sich aufregen über alles was menschlich ist,

über zu viel schlicht oder zu nett,

die sich aufregen über

unnötig lebensnotwendige Mitteilungen aus den Lebenslandschaften

von Mick und Mack, Dieter und Doof, Tom und Jerry,

über die Million für Lexikonwissensfragen mit Light- und Soundeffekten,

über Naturfilme mit dreissig aussterbenden Tier- und Pflanzenarten,

über das hunderste Mal von Tom und Hanks,

die wilden Kanonen Top Gunner, Pilcher und tätlichen Örtlichkeiten

aber nie Tarkowski oder Luis Malle, Godard schon gar nicht,

und wieder die aufgeregten Rasenmäher, die schon am Mittwoch aufregen,

über ausladende Lastwagenchauffeure gegen 6:30h unter dem Schlafzimmerfenster,

sich aufregen über überfliegende MD11 um 23:15 in Richtung Rio,

nachaktive Stechmücken, Mittagessenwespen auf dem Balkon,

schlechte und zu teure Pressefotos, arschlochfahrende Dorfbeschaller,

nie anrufende und sich mal meldende Freunde,

sich aufregen über sogenannt wichtige Persönlichkeiten,

rücksichtlose Menschen, ewig besserwissende Experten, liebenswürdige Alte,

erster Sein Weisskragentäter,

über diese ewigen Zweiten, über die gemütlichen Langsamen, nervenden Lahm-Ärsche

den aufgeblasenen Tussis und Männis, aufreibenden Machos,

vertriebenen Naivlingen, zu oft bedachten Heiligen, schwitzenden Überheblichen,

über diese vergessenen Blödmänner und -frauen,

nervtötenden Blindgängern, mächtigen Dummköpfen, still schweigenden Raffinierten,

viel zu Cleveren, aufdringlichen Kindern,

sich aufregen über moralisierende Verkehrsteilnehmer aller Länder vereinigt euch,

über schlafende Fussgänger, die einen Parkplatz für ihr Auto gefunden haben,

schalschwingende Kuratoriumswissenden, alles überragenden Künstlern

über alle die sich über Hundeaugen der Nichtbeachteten und Bedenkenden,

über die Hundertprozentwilligen und- wollenden,

die  absolut genau Wissenden, die unbedingten Alleskönner,

die verdrückten und geplätteten Nieten, plärrenden Donald Ducks, eleganten Halbschlauen,

erigierten Schlappschwänzen, kitschigen Schwerenöter, trampelnden Tollpatsche, genialen Schwätzer,

und Laut- und Allesdenker,

sich aufregfen über ausufernde Jammerlappen

immer wieder gern und immer öfter aufregen

und aufregen,

auf

regen

und sich dann endlich niederlegen und wie alle, schweigen.